Es wäre – vielleicht – revolutionär. Quasi ein Weckruf gegen das System. Das System der Optimierung. Ich selbst kümmere mich seit Jahren um die Optimierung der Persönlichkeit. Meine und die von Jugendlichen und Erwachsenen in der Weiterbildung. Stichworte: Zeitmanagement, Reflexion, Rhetorik, Kommunikationsfähigkeit. Und so weiter. Selbstmanagement, emotionale Stabilität, allgemeine Flexibilität. Im Denken wie im Handeln. Skills, die auch Unternehmen gern von künftigen Mitarbeitern einfordern. Zumindest stehen sie in vielen Stellenangeboten.
Andere Idee? Feldenkrais sagte mal: „Finde deine wahre Schwäche und kapituliere vor ihr“. In der ganzen Bodega wird uns allerdings was anderes verkauft. Egal, ob Frauenzeitschrift oder esoterischer Guru, wir werden annimiert, uns zu verbessern. Lebensratgeber sind Bestseller. Sie verkaufen sich mit der einfachen Strategie, Wege zur Optimierung anbieten zu können. Und das soll ein höheres Maß an Glücklichsein zur Folge haben. Ist das so?
Fakt ist – schon rein von der Prägung, der Gene, der Erziehung her -, dass Veränderungen zum perfekten Selbst anstrengend sind. Ich sage allen, die mir bei Seminaren und Vorträgen zuhören, dass es ein Höchstmaß an Disziplin erfordert, sich Dinge wieder abzugewöhnen und neue anzugewöhnen. Verbesserung ist kein Kinderspiel.
Die meisten Ideen erzeugen in diesem Projekt Stress. Warum? Mit jedem Tag, an dem sie in Sachen Selbstoptimierung ins Hintertreffen gelangen, sind sie genervter, verlieren kurzfristig wieder die Motivation. Und ich weiß, wovon ich spreche. Ich habe selbst x-mal von Motivationstrainern gehört: „Einmal mehr aufstehen als hinfallen.“ Und es ist richtig: Nur, wer wieder austeht und es erneut probiert, wird ans Ziel gelangen. Der Rest schwimmt mit. Es gibt statistisch 95 Prozent Nachmacher, aber nur 5 Prozent Vormacher. Die Frage ist also auch: Ist es sinnvoll, Ziele zu haben? Oder kann es auch einfach reichen, die Gelegenheiten wahrzunehmen?
Wenn Sie also mal wieder besser mit den Kindern kommunizieren wollen, die bessere Frisur suchen, den besseren Wagen, sich fragen, ob Sie eher aufstehen könnten, 10 Kilo abspecken wollen, das Rauchen aufgeben, das Saufen, ihr Gedaddel am Handy, also quasi alles aufgeben oder reduzieren wollen, was Sie ablenkt und unvollständig macht, dann seien Sie sich sicher, dass das anstrengend ist. Sofern Sie überdurchschnittlichen Erfolg bei diesem Tun im Sinn haben. Und wenn Sie Ihre Gewohnheiten, die schlechten natürlich, abschaffen wollen, erfolgreicher sein wollen, nach besserem Sex gieren, nach mehr Effekten im Alltag, nach weniger Erinnern, mehr Erleben, nach allem, was Sie sich besser und toller vorstellen können, dann seien Sie sich sicher, dass das noch anstrengender wird. Sie messen Ihr perfektes Ich mit dem aktuellen Ich.
Und Sie wollen womöglich noch eine Fremdsprache lernen, im hohen Alter ein Instrument, die Reise nach Chile mit den 3 Wochen auf Borkum tauschen und endlich coolere Hemden tragen. Diese Liste wird nie enden. Ihr Traum vom Traumjob, vom Traumpartner(in). Nie enden, sagte ich.
Wenn Sie dazu keinen Bock mehr haben – und jetzt kommt der Unterschied -, es geschnallt haben, also einen bewussten Prozess darüber initiiert haben, dann könnten Sie reinen Gewissens sagen: „Leckt mich, ihr Optimierer.“ Ich lasse es. Sie könnten sich für ein zielloses und konzeptionsloses Vegetieren entscheiden. Und, wenn Sie jemand anmault, Sie würden Ihr Pozenzial nicht abrufen, dann würde Sie sagen: „Mir doch egal.“ Aber, sie müssten es bitte auch so meinen, so fühlen. Es sollte sich gut anfühlen, diese patzige Antwort zu geben. Wenn Sie im Inneren damit hadern, ist nichts gewonnen. Sie brauchen die Fähigkeit, mit dem Schmerz umzugehen, der sich einstellt, wenn Sie unter Ihren Möglichkeiten bleiben.
Und ob das alles die Lösung für das Generve der Gegenwart ist (war), lässt sich leider meistens erst in der Rückschau feststellen. Sie müssen es also auch noch aushalten, dass Sie womöglich nicht einmal genau feststellen, ob diese Wahl die optimale ist. Womit sich die Frage nach dem optimalen Leben schließt ohne sich selbst zu beantworten. So, jetzt können Sie durchatmen und sich entscheiden, wie es gern hätten. Easy und weitestgehend weniger ambitioniert oder „volle Pulle“ für das, wa lockt.
Und diese Entscheidung treffen Sie. Nur Sie. Wenn Sie ausweichen, dann trifft Sie jemand anders für Sie. Das steht fest.